Die Augen sind das sprichwörtliche Fenster zur Seele. Und Tom Ford setzt sie in seinem zweiten Film „Nocturnal Animals“ ausdrucksstark ein, um Charaktere zu formen und ihre Geschichten zu erzählen.
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Amy Adams graublaue traurige Augen strahlen von der Leinwand auf den Zuschauer hinunter. Mehr braucht es nicht, um ihre Stimmung zu verdeutlichen, der Rest ihres Gesichts scheint völlig emotionslos und erschöpft. Denn die Protagonistin Susan schläft nicht und spielt jeden Tag eine vorgeschriebene Rolle in ihrem eigenen trostlosen Leben. Ihr Ehemann betrügt sie und ihre Galerie hat bereits bessere Tage gesehen. Trotzdem funktioniert sie, bis sie eines Tages per Post einen Roman ihres Exmannes Edward erhält, der von Jake Gyllenhaal gespielt wird. Der Roman malt eine mögliche gemeinsame Zukunft aus und löst in Susan eine leise Lawine von Emotionen aus, für den Zuschauer eindeutig erkennbar an tiefen, ausdrucksstarken Blicken. In Susans Augen spiegelt sich die Reue über ein Leben wider, das völlig schief gelaufen zu sein scheint.
Detailaufnahmen von Susans Augen sind ein entscheidendes, immer wiederkehrendes Mittel, um den Zuschauer teilhaben zu lassen. Ihre Augen sind es, die ihrem Charakter eine zutiefst nostalgische Grundstimmung verleihen. Wie ihr Exmann Edward immer sagte, hat sie die „traurigen Augen“ ihrer Mutter, wodurch ihr Schicksal beinahe vorbestimmt scheint.
Was nicht in Worte gefasst werden kann, wird durch die Augen der sehr gut besetzten Darsteller gezeigt. Diese vermitteln uns ein Spektrum an Gefühlen, die sich in den drei Handlungssträngen des Films entwickeln. Auch der Bösewicht des Films, Aaron Taylor-Johnson, brilliert mit eiskalten, ekelerregenden Blicken.
Nur die Augen, mehr müsste wohl nicht gezeigt werden, um die Hauptpersonen dieses Films zu charakterisieren und so feinfühlig eine Geschichte über verpasste Chancen und Rachegelüste zu erzählen.
Ein einfühlsamer Film mit einer erschreckenden Handlung, der sich nicht zuletzt durch seine enorme Vielfalt an Emotionen zu einem wahren Meisterwerk entfaltet… und bei dem man sich an die Worte Kurt Tucholskys erinnert fühlt: „Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick. Die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück! Vorbei, verweht, nie wieder.“.