Wie Facebook und Co Reality-Formate verändern

Früher war es einfach: Reality TV-Shows wurden gezeigt und hingenommen. Über manipulative Zusammenschnitte gab es nur Gerüchte. Das ändert sich durch Social Media – hier erfährt man Details direkt von den Teilnehmern.

Yusra Babekr-Ali (19) sitzt in ihrem Zimmer vor der Kamera. Der Winkel ist schief, sie blickt von oben in die Linse, alles sieht sehr improvisiert aus. Es ist eben kein professioneller Zusammenschnitt wie bei ProSieben, wo sie 2016 in der elften Staffel von Germany’s Next Topmodel (GNTM) zu sehen war.

Unmotiviert, zickig und lustlos – so war sie in den ersten Folgen bekannt geworden, in denen sie sich bei Castings nicht anstrengte, am laufenden Bande die Augen verdrehte und sich genervt mit den Mädels, Juroren und sogar Kunden anlegte. Ein paar Wochen lang war das unterhaltsam, aber schließlich hatte diese Story sich erschöpft und Yusra musste, natürlich nur wegen ihrer unprofessionellen Einstellung, die Show recht früh verlassen. Kurz darauf meldete sie sich auf ihrem YouTube-Channel mit dem schiefen Kamerawinkel zu Wort, weil sie den Anfeindungen, die ihr auf Facebook entgegengebracht wurden, etwas entgegensetzen wollte.

Im Video beschreibt sie detailliert, wie ProSieben durch Zusammenschnitte eine ihr zugedachte Rolle perfektioniert hat. „Es gibt viele Sachen, die von mir eingespielt worden sind, zum Beispiel Augenverdreher, wo ich Sachen gefragt wurde wie ‚Wie viele Jungs hast du schon geküsst‘“, erklärt Yusra. Solche Momente wurden dann später in Szenen hineingeschnitten, in denen die anderen sich beispielsweise auf ein Shooting freuten. „Klar, dass ich so als unmotiviertes Gör rüberkomme“.

Wir haben es alle gewusst – aber nicht so genau

Auch wenn Klarstellungen wie diese nicht wirklich überraschen, weil man sich denken kann, dass in allen Reality-Shows Figuren zugespitzt und Szenen geschickt montiert werden, ändert sich durch ihr vermehrtes Aufkommen einiges an der Rezeption von Reality-TV. Die Showteilnehmer können über ihre Social-Media-Kanäle unmittelbar Stellung beziehen, wie es früher durch die reine Medienberichterstattung nur sehr eingeschränkt möglich war. Die Wahrnehmbarkeit ist damit nicht nur unmittelbarer, sondern Fälle wie Yusras häufen sich auch, weil fast jeder zumindest ein Facebook-Profil hat.

Auf Facebook setzte sich auch Maren Gilzer (55) nach ihrer Promi Shopping Queen-Teilnahme zur Wehr. Man hatte sie dort arrogant und neidisch gezeigt, und viele kritische Aussagen ihrerseits über die Gewinnerin eingeblendet. In der Richtigstellung erklärt sie dann, dass ausschließlich diese Szenen von ihr gezeigt wurden, was ein einseitiges Bild abgäbe – und dass der Redakteur sie wiederholt nach Kritik gefragt hätte, weil von ihr selbst kaum welche gekommen sei. Besonders clever nutzte Schauspielerin Jana Pallaske (38) ihre Kanäle, auf denen sie bereits vor der Ausstrahlung ihrer Promi Shopping Queen-Folge ein Statement postete, auf mögliche Zusammenschnitte hinwies und deutlich erklärte, was ihr Anliegen für die Teilnahme war – und warum sie so ungewöhnlich viele Klamotten eingekauft hatte. Das war auch besser so, denn in der Sendung kam zwar ihr Anliegen, für nachhaltige Mode zu begeistern, zur Geltung – dass sie aber viele Teile kaufte, um möglichst viele Eco-Fashion-Label zu unterstützen, blieb unerwähnt. Stattdessen zog Guido M. Kretschmer über ihre Konsumhaltung her, die ja so gar nicht zu ihrem Anliegen passen würde.

Hello hello, da die Sendung jetzt losgeht im 📺✨Ein paar kleine Infos dazu : 🀄️• Punkt Warum ich soviele Sachen wie m…

Posted by Jana JEDi¥ESS Pallaske on Sonntag, 4. Juni 2017


In Zukunft mehr Schweigepflicht oder bewusste Dramenverlagerung auf Social Media?

Natürlich erreichen Posts wie diese nicht alle Zuschauer. Zumindest diejenigen, die ohnehin schon Fans von einem Teilnehmer sind, werden aber informiert und bekommen ein anderes Bild von Mensch und Show. Auch dürfte es mittlerweile eine gängige Praxis sein, sich während und nach der Sendung auf den Profilen der Teilnehmer nach Statements zu besonderen Vorfällen umzusehen. Welche neuen Probleme, Darstellungsformen und Veränderungen das gerade für die Produktion mit sich bringt, wird in den nächsten Jahren zu sehen sein. Die Grenze zwischen Showmarketing, für das wie bei GNTM eigene Instagram- und Facebookaccounts für jede Teilnehmerin erstellt werden, und Meinungsäußerung ist schwer zu ziehen. Und auf die privaten Profile haben die Sender ohnehin keinen Zugriff, können aber vertraglich strikte Schweigepflichten festlegen – dies kann sich aber auch nachteilig auswirken, wenn dann gar nichts mehr über die Show gepostet wird. Durchaus heikel dürfte es für RTL beim Dschungelcamp-Kandidaten Markus Majowski (53) im Januar 2017 geworden sein, der direkt nach seinem Ausstieg Stellung zu einem angeblichen Ausraster während seiner Dschungelprüfung bezog. Es habe sich dabei um Szenen gehandelt, die im Nachhinein als angebliche Schnittbilder gedreht und dann in die Prüfung hineinmontiert wurden. Für das Nachdrehen wurde er an eine Wand gefesselt und trotz mehrfacher Bitten und Schmerzen nicht befreit. „Morgen wird sich im Laufe des Tages einiges aufklären zu meinem angeblichen Ausrasten. Ich war durch die Fesselaktion in einer körperlichen Notsituation, die extreme Schmerzen verursacht hat. Die Problematik bestand ausschließlich zwischen mir und der Aufnahmeleitung“, kommentierte er auf Facebook.

Eine mögliche Win-Win-Situation wäre die bewusste Verlagerung solcher Dramen auf die Social-Media-Kanäle, eingeplant und gesteuert durch die Produktion. Die Showwahrnehmung kann so online lange präsent gehalten und eine Teilgeschichte dort weitergeführt werden. Bestimmt werden die Sender dafür aber nicht die Problemthemen wählen, in denen es um showtechnische Manipulation geht. Hiervon erzählen können allein die Kandidaten – noch.

Beitragsbild: Prosieben.de

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