Über eine Brücke musst du gehen

In „Dreileben“ haben sich die Regisseure Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler für ein noch nie da gewesenes Fernsehexperiment in Deutschland zusammengetan. Petzolds „Etwas Besseres als den Tod“ eröffnet die entstandene Krimi-Trilogie. Und passt dennoch nicht ins Genre.

Im Anfang war die E-Mail.

Eine Auseinandersetzung über die Berliner Schule.

Eine lose Gruppe an Filmemachern, die ruhige, ernsthafte, und realitätsnahe Filme dreht. Vorbild dieses neuen deutschen Autorenkinos ist die französische Nouvelle Vague.

Dominik Graf beklagt indes fehlende Kraft, Sinnlichkeit und Humor. Seine E-Mail-Partner Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, ihresgleichen Vertreter der Berliner Schule, nehmen die Kritik durchaus ernst.

Sie wollen zusammenarbeiten. Zunächst für ein gemeinsames Seminar, schließlich für ein filmisches Projekt, das es in der deutschen Fernsehgeschichte so noch nicht gegeben hat.

Drei Regisseure. Drei Filme. Dreileben

Ein Gemeinschaftsprojekt, für das jeder der drei Regisseure -Petzold, Graf und Hochhäusler- seinen eigenen 90-Minüter schreibt und dreht. Produziert wurde im Auftrag der ARD von drei verschiedenen Anstalten: Der erste Teil „Etwas Besseres als den Tod“ (Christian Petzold, „Yella“, „Jerichow“) vom Bayerischen Rundfunk, der zweite Teil „Komm mir nicht nach“ (Dominik Graf, „Im Angesicht des Verbrechens“, „Die geliebten Schwestern“) von der ARD und der abschließende Fernsehfilm „Eine Minute Dunkel“ (Christoph Hochhäusler, „Unter dir die Stadt“, „Die Lügen der Sieger“) vom Westdeutschen Rundfunk. Zunächst im Forum der Berlinale vorgeführt, wurde die Trilogie am 29. August 2011 in der ARD einem größeren Publikum zuteil; zur Prime-Time wurden alle drei Filme hintereinander ausgestrahlt.

Dabei sind die Genres (Liebesfilm, Psychodrama, Polizeithriller) ebenso unterschiedlich wie die Handlungen. Referentielle Verweise und Berührungspunkte findet man selten. Verbunden sind die Fernsehfilme lediglich durch einen zeitlichen Rahmen, den fiktiven Ort Dreileben am Rande des Thüringer Walds und einen Kriminalfall, der mal mehr, mal weniger im Vordergrund steht.

Petzold kreiert 90 Minuten Beziehungsdrama

In Petzolds Beitrag „Etwas Besseres als den Tod“ geschieht das mal weniger. Indem Protagonist Johannes (Jacob Matschenz), Zivildienstleisteder im örtlichen Krankenhaus, die Tür des Sterbezimmers offen lässt, leitet der erste Film den Kriminalfall ein. Der verurteilte Sexualstraftäter Frank Molesch (Stefan Kurt) verabschiedet sich dort von seiner verstorbenen Mutter und ergreift die Möglichkeit, zu fliehen.

Der übergreifende Fokus liegt indes auf der Liebesgeschichte zwischen Johannes und dem bosnischen Zimmermädchen Ana (Luna Mijovic). Johannes möchte für ein Medizin-Studium nach Los Angeles gehen; Ana will mit. „Wir schlafen miteinander, dann lernst du. Dann schlafen wir wieder miteinander, dann lernst du wieder. Und so weiter. Und so weiter“.

Zu Ana, voller Lebenslust, gelingt es dem Zuschauer dabei schnell eine Beziehung aufzubauen; Passivität und Lethargie erschweren es ihm bei Johannes. Daran zu glauben, dass Johannes es nach Los Angeles, geschweige denn durch das Medizin-Studium schafft, fällt durchweg schwer. Petzold zeigt ein Bild der Beziehung der beiden auf, das voller Höhen und Tiefen steckt.

Sind die Charaktere generell nicht Scheu, ihre Zuneigung (auch öffentlich) zu zeigen, so ist dies in den Höhen ihrer Beziehung noch einmal verstärkt. Beispiel: Johannes hat spontan keinen Dienst im Krankenhaus. Was macht er also? Er sucht Ana bei ihrer Arbeit im Hotel auf -sie ist gerade dabei, ein Zimmer zu reinigen-, überrascht sie und beginnt, sie zu verführen. Hier seien zwei Aspekte anzumerken. Erstens steht die Tür des Hotelzimmers sperrangelweit offen. Zweitens ist Anas Familie (bestehend aus Mutter und Bruder) auf ihren Verdienst angewiesen. Hätte ihr Vorgesetzter nicht nach ihr gerufen, wäre es vermutlich weder jugendfrei noch bei ihrem Job geblieben… Ein solches Bild sei nun keine Seltenheit im Film.

Johannes (Matschenz) überrascht Ana (Mijovic) bei ihrer Arbeit / Credit: BR/Christian Schulz

Johannes (Matschenz) überrascht Ana (Mijovic) bei ihrer Arbeit / Credit: BR/Christian Schulz

„Entschuldige Ana!“, „Es tut mir leid!“. An solchen Dialogen mangelt es im Film keineswegs. Verdächtigt Johannes Ana in einem Moment, sein Geld geklaut zu haben, findet sie sich im nächsten Moment in den Armen ihres Ex-Freundes wieder. Und versucht auf diese Weise, Johannes eifersüchtig zu machen.

Indem die Krimi-Handlung lediglich einen Bruchteil der Handlung ausmacht, liegt der Hauptfokus auf der sich anbahnenden Liebe zwischen Johannes und Ana. 90 Minuten Beziehungsdrama. Lediglich in den letzten 10 Minuten erfährt der Film all’ das, was man sich unter einer Trilogie um einen Kriminalfall vorstellt: Spannung, Rasanz, Dramatik.

Rasanz erst gegen Ende des Films

Leider ist dies auch filmisch zu beobachten. Lange Einstellungen, spärliche Dialoge. Im Laufe des Films begreift der Zuschauer, dass sich plötzlich alles mit Bedeutung auflädt: Der Weg über eine Brücke und durch den Wald, der Krankenhaus und Hotel verbindet. Der Weg, den Ana und Johannes etliche Male zu überwinden haben. Und der immer aus den gleichen Perspektiven, mit den gleichen Einstellungen gezeigt wird. Eben diese offenbar objektive Perspektive auf eine durch den Wald laufende Ana ergibt in dem Moment Sinn, in dem Petzold diese Bildkomposition kaum wahrnehmbar bewegt und somit verändert. Versetzt mit leicht raschelnden Geräuschen entsteht ein Horrorfilm-Moment par excellence. Dem Zuschauer wird klar, dass soeben die subjektive Perspektive des Flüchtigen eingenommen wurde, der scheinbar in den Wäldern lungert.  Bedauerlicherweise gelingt es Petzold nicht, solche Feinkompositionen und spannungsgeladenen Momente derartig oft zu integrieren, dass der Film Aufwind bekommen würde.

Perspektive auf den Waldweg, den Ana (Mijovic) und Johannes (Matschenz) etliche Male zurücklegen / Credit: BR/Christian Schulz

Perspektive auf den Waldweg, den Ana (Mijovic) und Johannes (Matschenz) etliche Male zurücklegen / Credit: BR/Christian Schulz

Auch wenn es zum Ende hin zusehends rasanter wird, übertönt dies nicht die vorangegangenen 80 Minuten Beziehungsfiasko. Als „Schneewittchenfilme“ hat Dominik Graf einmal Filme bezeichnet, die an Melancholie nicht zu übertreffen seien und leblose Menschen hinter Glas abbilden würden. Ebenso blass und kraftlos kommt auch „Etwas Besseres als den Tod“ daher. Ein Abkehr vom Stil der Berliner Schule sieht anders aus.

Und so war es im Ende doch nur ein weiterer deutscher Fernsehfilm.

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