Schneewittchen und der böse Wolf

Mit „Dreileben: Etwas Besseres als den Tod” sendete die ARD zur Primetime am 29.08.2011 den Auftakt eines ungewöhnlichen Projekts, das in der deutschen Fernsehfilmlandschaft bisher seinesgleichen sucht.

Die Serie Dreileben bildet eine Fernsehfilmtrilogie, die drei deutsche Regisseure in einem gemeinsamen Projekt erschaffen haben. Mit Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler treffen drei verschiedene Generationen und drei verschiedene Stile aufeinander: Petzold und Hochhäusler sind Vertreter der Berliner Schule, außerdem Dominik Graf, der als Sympathisant aber Kritiker seiner jüngeren Kollegen verstanden werden kann. Im gemeinsamen Mailverkehr der Regisseure äußert Graf den Wunsch nach Filmen, die zu einem Gesamtbild des Lebens wie in einer Glaskugel“ werden, im Guten wie im Bösen, im Ordentlichen wie im Chaos“. Dazu bemängelt er, dass noch zu viele Filme Gefühl von Künstlichkeit, von Gewolltheit, von hindrapierter Verlorenheit in den Menschenbildern“ weckten. Große Ziele, die wohl auch auf das gemeinsame Projekt übertragen werden können. Vielleicht auf der Jagd nach einer Nouvelle vague allemande und mit dieser Kritik im Hinterkopf verabreden die drei eine Zusammenarbeit: Drei unabhängige Handlungsstränge und nur wenige Berührungspunkte, alle jedoch verbunden durch Ort und Zeit, durch Dreileben und den Sommer. Uraufgeführt wurde die gesamte Trilogie in der Sektion „Forum“ auf der Berlinale 2011. Der erste Teil, Christian Petzolds Beitrag „Etwas Besseres als den Tod“ fand ein gespaltenes Medienecho; auch die spätere Ausstrahlung im Ersten erzielte nur unterdurchschnittliche Zuschauerzahlen.

Ein düsterer Märchenwald, tiefe Seen und graue Felsen offenbaren sich dem Zuschauer. Der Thüringer Wald, genauer gesagt: der fiktive Ort Dreileben. Auf der einen Seite des Waldes befindet sich eine Klinik und ein Schwesterhaus, auf der anderen Seite ein kleines Städtchen. Es scheint, als würde nur ein Spaziergang genügen, um über die Brücke durch den dunklen Wald von einem zum anderen Ort gelangen. Sieht man genauer hin, so erkennt man, dass der Weg länger ist als gedacht zwischen diesen beiden Welten. Denn auf der einen Seite wohnt Ana: die Lippen fast so rot wie Blut, die Haut fast so weiß wie Schnee und das Haar fast so schwarz wie Ebenholz. Als bosnisches Zimmermädchen aus armen Verhältnissen steht sie unter der Fuchtel ihrer bösen (Stief-?) Mutter und träumt wie eine Märchenprinzessin vom großen Glück. Doch dazu scheint ihr die Disziplin zu fehlen, oder die singend helfende Vogelschaar. Auf der anderen Seite wohnt Johannes, Zivildienstleistender in der Klinik, blond gelocktes Haar, aber doch ohne Pferd, der sich mit der Gunst des Chefarztes an der Spitze der Gesellschaft aufhält, obwohl er wenig Disziplin und Initiative zeigt, diese Position zu halten.

Durch eine Verkettung von Zufällen wird aus dem ungleichen Duo ein Liebespaar. Ihr persönlicher Märchenwald scheint nur für sie geschaffen und der Waldweg ist ihre Bühne für Gespräche, Streitereien und Liebeleien. Dabei geht beinahe unter, dass sich im Märchenwald in Form eines ausgebrochenen Sexualstraftäters der böse Wolf herumtreibt, dem Johannes in der Klinik versehentlich die Flucht ermöglichte. Diese böse Seite wird von Petzold mit Zwischenschüben immer wieder subtil eingebracht. So wechselt die Perspektive hier und da in die bedrohlich wirkende, subjektive Kamera, die den Blick aus dem Dickicht auf die hübsche Ana hält und die Präsenz des Straftäters Molesch (Stefan Kurt) mehr als nur andeutet. Doch der Fokus liegt bis zum bitteren Ende klar auf der interkulturellen Romanze zwischen den beiden Jugendlichen, obwohl die dunkelgrün-graue, neblige Szenerie den Kriminalfilm, der in den nächsten beiden Trilogie-Teilen vertieft wird, immer wieder andeutet. Petzold inszeniert eine impulsive, unbeholfene Sommerliebe, bis er sie beinah zärtlich wieder zerstört. Der Traum platzt, der Märchenwald bleibt. Landschaftsaufnahmen, die jedoch eher für die große Kinoleinwand als für den Heimfernseher geeignet sind, machen dem Zuschauer klar, wo er sich befindet: In einem modernen Märchen mit sozialkritischer Moral.

Eine Glaskugel, wie Graf forderte, scheint nur in Form des Liedes des Paares zu existieren, das orakelnd über der Beziehung schwebt. „Cry Me A River“. Hätte Ana noch die Zeit gefunden, so hätte sie sicherlich einen Fluss Tränen für ihren Johannes geweint, vor dem Rückzug in ihr bescheidenes, unglückliches Leben. Die Handlung plätschert eher vor sich hin, ohne den Zuschauer mitzureißen. Dem Film fehlen dazu die Identifikationsmöglichkeiten und die Spannung.

Mit bildkompositorischer Ästhetik kreiert Petzold eine eigene Welt für das Paar und fängt durch Rahmung und Fokus die Atmosphäre einer zum Scheitern verurteilten Sommerliebe ein. Ana und Johannes blicken sich tief in die Augen, voller Intimität sieht sie der Zuschauer gemeinsam im Bett, als gäbe es nichts außer ihnen auf der Welt und als könne sie nichts trennen. Und dennoch, die Liebe wirkt langatmig, Ana zu impulsiv, Johannes zu undurchsichtig. Sie sind zwei infantile, unsichere Träumer, deren Charaktere schnell anstrengend werden. Später im Film stiert Johannes Ana an und versucht sie zur Vernunft zu bringen, als diese nach der Trennung mitten im Wald drohend ein Messer zutage fördert – das anschließend dort auf dem Waldboden liegen bleibt. Ein ähnliches Bild, doch die Situation gespiegelt.

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Ana und Johannes vergessen vor Liebe alles um sich herum

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Johannes versucht, Ana nach der Trennung zur Vernunft zu bringen

 

 

 

 

 

 

Eine Trilogie, die durch drei verschiedene Blickwinkel ein Ereignis aus völlig unterschiedlichen Perspektiven beleuchten kann, sollte häufiger seinen Weg ins deutsche Fernsehen finden sollte. Im Zuge dessen ist Christian Petzold mit „Etwas Besseres als den Tod“ sicherlich seinem Stil treu geblieben, jedoch fehlt einem das Experimentelle, Ungewöhnliche von seiner Seite. Zu lange wartet man, in Antizipation der für Kriminalfilme eigentlich konventionellen Spannung, auf den Höhepunkt der Handlung. Man scheint in einer Endlosschleife gefangen. Die sparsamen Dialoge und der langsame Stil, den Petzold sonst treffsicher einsetzt, wirken in Kombination mit dieser Handlung eher einschläfernd. Die Szenen, die in den weiteren Teilen aufgegriffen werden, tragen noch keine Bedeutung und so sieht sich der Zuschauer mit 90-Minuten Beziehungsgeplänkel konfrontiert, das am Ende dann doch zum Scheitern verurteilt ist.

Und so lebten sie unglücklich bis ans Ende ihrer Tage.

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