Die Angst hat große Augen

Jeder hat einen, zwei, drei Filme, die er gerne immer wieder schaut. Einige Filme sieht man sich an, wenn man traurig ist. Einige Filme muss man unbedingt in einer bestimmten Zeit gucken, denn ohne sie ist Weihnachten kein Weihnachten und Silvester kein Silvester. Was passiert aber, wenn man wieder einen Film schaut, den er schon lange nicht mehr geschaut hat? Tauchen Erinnerungen in ihm auf? Erlebt man dieselben Emotionen wie damals?

Unser Geschmack ändert sich im Laufe des Lebens und öfter finden wir die Sachen, die wir früher gemocht haben, nicht mehr so interessant oder attraktiv. Genauso kann es mit der Vorliebe zu einem bestimmten Filmgenre passieren. Früher habe ich gerne Horrorfilme geguckt. Ich hatte immer Angst, aber ich habe sie trotzdem vom Anfang bis zum Ende geschaut. Jetzt machen sie mir anscheinend noch mehr Angst, deswegen mag ich dieses Genre nicht mehr. Man muss auch zugeben: Heutzutage sind Spezialeffekte auf so einem hohen Niveau, dass alles auf dem Leinwand zu realistisch aussieht und man das Gefühl bekommt, sich in dieser Hölle zu befinden. Solche Effekte standen den Regisseuren in den 80-90ern noch nicht zur Verfügung. Deswegen wenn man zufällig oder auch absichtlich auf einen Film aus dieser Zeit stößt, wird er gleich den Unterschied merken.

Vor ein paar Jahren habe ich auf so einen Film gestoßen. In meiner Kindheit war er der schrecklichste Film aller Zeiten. Eigentlich gibt es eine ganze Filmreihe im Slasher-Genre, zu der dieser Film gehört, von der ich mich aber nur an den ersten Film mehr oder weniger gut erinnern kann. Die Filmreihe, die ziemlich populär war/ist, heißt „Nightmare“ (engl. „A Nightmare on Elm Street“) und erzählt über einen Serienmörder namens Freddy Krueger. Der Ausgangspunkt und der Erfolg war der 1984 erschienene Film „Nightmare – Mörderische Träume“ von Wes Craven. Nicht nur kannten alle meine Freunde und Bekannte diesen Film, sie konnten an keinen anderen Film denken, der schrecklicher sein könnte.

Bevor ich diesen Film endlich geschaut habe, habe ich von ihm viel gehört. Ich war 9-10 Jahre alt und die Geschichte, die mir erzählt wurde, hat mir bereits viel Angst gemacht. Ich musste aber diesen Film unbedingt schauen, um Teil der sogenannten Community zu werden, die darüber aus Erfahrung gesprochen hat.

Ich weiß nicht mehr, wie ich meine Eltern überredet habe, aber als „Nightmare – Mörderische Träume“ im Fernsehen lief, durfte ich ihn schauen. Es war ziemlich spät und das Licht war aus. Warum musste man Licht ausmachen, wenn man sogar mit Licht Angst hat, ist für mich jetzt ein Geheimnis. Wahrscheinlich gehörte es einfach dazu.

Meine Erwartungen haben sich erfüllt. Bereits am Anfang des Filmes habe ich mir Sorgen gemacht, ob ich danach einschlafen kann. Zudem ging es ja um „mörderische Träume“ und die Darsteller durften auf gar keinen Fall einschlafen. Fast jede Szene hat erschreckt. An einer Szene kann ich mich aber besonders gut erinnern und immer wieder, wenn ich den Titel des Films höre, muss ich an diese Szene denken.

Ein der Darsteller, Glen Lantz (Johnny Depp) musste, wie auch fast alle in diesem Film, sterben. Ich kann mich daran erinnern, wie er in seinem Zimmer auf dem Bett liegt und etwas auf dem Fernseher schaut. Dann schläft er ein. Plötzlich erscheint Kruegers Hand aus dem Bett, das Bett verschlingt den Jungen und spuckt ihn als gewaltige Blutfontäne wieder. Das Blut hat mir in den Adern gestockt. Erschreckend! Grausam! Ich kann immer noch keine richtigen Wörter finden, die meinen Zustand damals beschreiben könnten.

  

Das Bett verschlingt Glen Lantz (Johnny Depp) © Fanpop          Blutfontäne, die aus Glen wird © Cinema Parrot Disco

Nach dem Film und bis zu dem Moment, als ich ihn wieder geschaut habe, war ich sicher, dass diese Szene mit der Blutfontäne die schrecklichste Szene überhaupt ist und dass sich alle Slasher-/Horrorfilme auf „Nightmare – Mörderische Träume“ orientieren sollten. Wahrscheinlich würde ich immer noch daran glauben, aber nachdem ich ihn wieder geschaut habe, konnte ich mich nur fragen: Soll dieser Film mir etwa Angst machen? Ist es jetzt ernst? Man sagt, dass die Angst große Augen hat. So habe ich diese Szene als eine der grausamsten in meinem Gedächtnis gespeichert, in der Tat ist aber der Teufel nicht so schwarz, wie man ihn malt.

Das war aber keine Enttäuschung, nein. Für mich gilt der Film immer noch als Kultfilm des Slasher-Genres, obwohl ich von diesem und ähnlichen Genres kein Fan mehr bin. Es war Erstaunen, wie sich Kinoindustrie seitdem entwickelt hat; auch Nostalgie, denn der Film hat mich an die Zeit erinnert, als ich ihn zum ersten Mal geschaut habe und welche Emotionen er in mich damals geweckt hat.

Klar ändert sich alles. Nicht nur unser Geschmack, sondern auch unsere Wahrnehmung von einer und derselben Sache. Das heißt aber nicht, dass wir etwas schlechter oder besser finden, wir nehmen es einfach anders wahr. Und anders ist nicht unbedingt schlecht oder gut. Es ist einfach anders.

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