66 Kinos – Philipp Hartmanns gleichnamiger Dokumentarfilm zeigt mehr als diese. Es geht um ein Handwerk, das kaum jemand kennt – und das vom Aussterben bedroht ist.

Foto: Clem Onojeghuo
35 Millimeter – das ist die magische Zahl des Abends. Sie steht für das Ur-Kino und sein Filmformat, den dreieinhalb Zentimeter breiten Streifen, der auf eine Spule gewickelt ist und im Vorführraum hinter den Zuschauern in den Projektor gelegt wird. Regisseur Philipp Hartmann (44) zeigt im Hamburger Metropoliskino seinen Dokumentarfilm (2016) über ganz besondere deutsche Kinos. 66 Stück, eine weitere wichtige Zahl des Abends.
Kinosäle als Kloster, Universität oder Malerei
Von Hamburg aus bereiste Hartmann Programmkinos, Filmclubs, kommunale Kinos und Multiplex-Paläste in ganz Deutschland, um seinen damaligen Essayfilm Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe (2014) vorzustellen. Immer mit dabei: eine kompakte Videokamera, mit der er die Orte seiner Filmausstrahlungen festhalten konnte. Außerdem: die „spontane Idee im Suff“, daraus einen Film zu machen.
In 66 Kinos werden die einzelnen Theater über das jeweilige Besondere an ihnen vorgestellt. Da ist das Alpirsbacher Klosterkino im ehemaligen Speisesaal des Abtes, in dem vor jeder Vorstellung die große Klosterglocke geläutet wird. Das Kino in Passau, in dessen größtem Saal auch Vorlesungen der nahen Universität stattfinden. Der Kinobetreiber, der eigentlich KFZ-Mechaniker ist und die Filmvorführerin im Hamburger B-Movie, die zeigt, wie der 35-Millimeter-Film vom Projektor aus durch ein Loch im Boden in den Keller läuft, weil der Vorführraum zu klein ist. Der Programmplaner, der seine Tätigkeit mit der eines Malers vergleicht und beschreibt, wie das langsame Entstehenlassen des Monatsprogramms für ihn ein künstlerisches Bild ist.
Zwischendrin gibt es hart aneinandergeschnittene Außenansichten all der Kinos zu sehen, über die nicht ausführlicher berichtet wird, sonst wäre es nicht bei 98 Minuten geblieben. Diese Bilder sprechen – wie bei der typischen Fassade des Hamburger Abaton – jedoch meist schon für sich, weil ihre Gebäude so charakteristisch sind, wie die Innenansichten und Menschen der einzelnen Kinos, die ausführlicher gezeigt werden. Dass die Bildqualität mal wackelt, der Ton rauscht und ein paar unsaubere Schnitte dabei sind, stört kaum, sondern unterstreicht das Menschliche des Films und verdeutlichen immer wieder die Produktionsbedingungen: Auf Reisen, Einmannteam, Handkamera. Sympathisch!
Kinomachen als unterfinanzierte „labour of love“
Hartmann ist bekannt für Filmprojekte, die er einfach macht, weil sie ihm am Herzen liegen. Beinahe ungeachtet der finanziellen Erfolge, obwohl auch er in seinem Schaffen auf Förderung angewiesen ist. Für seinen letzten Essayfilm fand sich kein Verleiher – für Hartmann egal, das Projekt und dessen Ausstrahlung in deutschen Filmsälen waren das, was zählte. Auch dieses Mal zeigt er seinen Film bewusst nicht per Stream, wo es mehr Zuschauerpotenzial gäbe, sondern im Kino.
Damit hat er in einem Kino der Kunst des Kinomachens selbst eine Stimme verliehen. Er zeigt sie als Handwerk, das ebenso vom Aussterben bedroht ist wie das eines Uhrmachers und dessen Schaffende ebenso an der Existenzgrenze leben, wie das bei typischen Künstlern eben der Fall ist. Die in 66 Kinos allesamt mit Herzblut ihre Häuser bewirtschaften und bespielen, und das oft seit Jahrzehnten. Die ihre Besucher persönlich kennen und von ihnen Geschenke erhalten und sich als Ausführende eines besonderen Auftrags verstehen, weil sie mitentscheiden können, welche filmischen Werke ein Publikum erhalten. Und die die einzelnen Spulen mit 35-Millimeter-Film hinten im Vorführraum viel lieber selbst einlegen und mit Fingerspitzengefühl austauschen, als alle Prozesse der Digitalisierung zu überlassen, weil eben genau hier das Kinomachen seine Wurzeln hat.
„Labour of love“ – so bezeichnet einer der Kinomacher die kaum noch rentable Tätigkeit. Enttäuschung durch die Digitalisierung, mangelnde Förderung, mutmaßliche Deals der großen Kinoketten mit Filmverleihern – die möglichen Gründe für den beschworenen Tod der kleinen Kinos werden vorsichtig gestreift, stehen aber nicht im Vordergrund. Und genau damit schafft Hartmann, durch die Akteure und Orte selbst, den Eindruck: Das alles muss erhalten werden! Wie gut, das an diesem Abend ein Vertreter der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein im Raum ist.